KÜNSTLERISCHE  ENTWICKLUNG

In der Kindheit war ich in meiner Familie und bei der übrigen Verwandtschaft für meine Zeichnungen (Tusche, Wasserfarben, Blei- und Buntstifte, z.B. "Schulhaus Nackenheim" 1941) bekannt, die ich zu Geburts- und Feiertagen verschenkte, vor allem dem Vater an die Front oder in die Lazarette schickte. Im Oppenheimer Gymnasium wurde ich von meinem Zeichenlehrer Trautloff gefördert, der mir wegen des Bildes "3-Geschlechterbrunnen" ein Kunststudium empfahl. Ich hatte 1950 auf einer ca. DIN A3-großen Pappe den "Uhrturm" (1843/44, 31 m, Altstadt) quer durch den "3-Geschlechterbrunnen" (1546; NE der Katharinenkirche) gelegt und das Bild mit Tempera, Wasserfarbe und Acryl(?) farblich gestaltet. Eine Rekonstruktion des verloren gegangenen Bildes findet sich auf dieser Homepage unter Galerie/Nebenwerke in chronologischer Ordnung wieder. Aus dieser Zeit sind wenige Bilder erhalten, u.a. "Selbstbildnis", "Erika", "Kirche in Dexheim", "x² + y²= R²". Zahlreiche Mal- und Zeichenversuche stammen aus den Jahren nach 1951, meist kleine Formate, z.T. auch Collagen. Die entscheidende Wende kam bei einem Ferienaufenthalt in Amalfi (1975), als ich am Strand einen mehrfach verdrehten Kupferdraht fand, der zu dem ersten Materialbild führte.

Die Fahrt nach Pozzuoli  16x22 cm  26.3.1975
"Die Fahrt nach Pozzuoli"
16x22 cm       26.3.1975
(mit Rahmen 30.12.1984)
Der Draht erinnert an eine katastrophale Irrfahrt -- mit der Familie im Auto -- durch Pozzuoli und weiter nach Neapel und brachte die Erkenntnis, dass ein Ereignis in Form eines   e i n z i g e n   Gegenstandes darstellbar ist. Dieses Schlüsselerlebnis führte zu "Corvus rubimontanus" (1979), einer Krähe, welche aus typisch rotverfärbten, verrosteten Eisenteilen zusammengesetzt ist, wie sie auf dem Rheinhöhenweg, einem beliebten Spazierweg seit 1938,  in den Weinbergen auf den rotbraunen Ton- Schluff- und Sandsteinen des Rotliegenden (Perm-Zeit) zwischen Nackenheim und Nierstein zu finden sind. Krähen, durch Stromschlag getötet, lagen hin und wieder unter den dortigen Fernleitungsmasten.
Corvus rubimontanus  20x29,5 cm  4.7.1979
"Corvus rubimontanus"
20x29,5 cm  4.7.1979
Damit wurde deutlich, dass sogar mehrere Ereignisse, also die vielen Spaziergänge mit Familie, Eltern, Verwandten und Freunden, mit Hilfe eines einzigen Bildes zusammengefasst und dargestellt werden können. Das Bild "Perm Perfekt 45" (1980) zeigt schließlich Fund- und Erinnerungsstücke und Spielsachen der Kinder-undJugendzeit in Nackenheim: Ein Segelschiff (Winterhilfswerk(WHW)-Abzeichen aus der Kriegszeit 1939-45, ein hölzernes Knetmodel mit Vogelmotiv, einen kleinen Backstein aus meinem Ziegelstein-Baukasten und eine Stahlplatte (vermutlich aus einer schusssicheren Weste), die ich bei der Besetzung Nackenheims durch die US-Truppen "Hell on Wheels" am 21. März 1945 auf einem Weg südlich der weißen Kapelle auflas. Dort hatte ein US-Panzer zuvor die Wehrmachtsstellungen jenseits des Rheins beschossen.
Perm Perfekt 45  14x18,5 cm  12.1.1980
"Perm Perfekt 45"
14x18,5 cm  12.1.1980

Zwar zustimmend beeinflusst durch den "Flaschentrockner" von Duchamp und durch Werke von Beuys (Museum Darmstadt) wurden allerdings Galerien-, Kunstmarkt- und Museumsbesuche ab 1980 weitgehend eingestellt (außer Museum Wiesbaden mit der Jawlenski-Dauerausstellung), als ich erkannte, dass mir zeitgenössische Kunst nicht oder wenig zusagte. Ermunterung dazu fand ich bei FERDINAND PORSCHE: 
"Am Anfang schaute ich mich um, konnte aber den Wagen, von dem ich träumte, nicht finden. Also beschloss ich, ihn mir selbst zu bauen" (Zitat aus STERN, 2003). Des ungeachtet verfolgte ich Kunstgeschehen und -entwicklung in den Medien (Bücher, TV, "Kunstzeitung"; selten documenta Kassel, Art Frankfurt oder Köln).

Zentrales Anliegen ist mir die Darstellung nicht in 2 oder 3, sondern in 4 Dimensionen (Raum und Zeit [zwar physikalisch nicht absolut korrekt, aber für meine Zwecke brauchbar]) als "Leben", "Spurensuche" und "Spurensicherung", wobei eigene Erlebnisse -- so wie es zum Beispiel Goethe und andere aus der Literatur, Musik oder bildenden Kunst vorgelebt haben -- im Vordergrund stehen, die aber auch (was oft unbeachtet bleibt) Allgemeingültigkeit besitzen können. "Bilder können vielleicht auch ohne Geschichte gemalt werden. Aber dann würde die Kunst stagnieren, und Malerei wäre nichts als Malerei, und keine Kunst" (LÜPERTZ  in "Markus Lüpertz im Gespräch mit Heinz Peter Schwerfel.- Kunst heute, 4, 85 S. (S. 60); (Kiepenheuer &Witsch) Köln 1989). Werkbezeichnungen wie "ohne Titel", bei denen die Interpretation dem Betrachter überlassen wird, auch solche Titel, die entweder Künstler selbst (wie z.B. Klee, Jawlenski), oder Kuratoren, Museumsleiter oder Galeristen nachträglich hinzufügen, sind mir zuwider. Als Gestaltungsmittel wurden fast ausschliesslich bei selbsterlebten Ereignissen aufgesammelte objets trouvés und Gegenstände aus früheren eigenen Lebensabschnitten verwendet. Die Materialien wurden bis auf ganz wenige Ausnahmen nicht verändert (Goldbronze; Ölfarbe; Klarlack und Pantarol als Rostschutz). Sie wurden weder zurechtgebogen, gekürzt, behauen, abgesägt, verdreht, gehämmert noch dem Kunstzeitgeschmack modisch angepasst, volkstümlich verändert, kunstschmiedeartig oder kunsthandwerklich bearbeitet, nur in wenigen Fällen wurden lockere Nägel angeschweißt und bei allen Objekten Schmutz, Asche oder dicker Rost entfernt.

Die erste größere Collage war „Don Quichotte“ (1980) mit den üblichen Materialien aus Eisen, Kunststoff, Steinen, Schneckenschalen u. a., die auf Strassen und im Gelände gefunden worden waren. Zum ersten Mal benutzte ich zur Bildabgrenzung größere, schwarze, 6,5 cm hohe und breite, im Winkel von 45° nach außen weisende Profilleisten als Holzrahmen, die an die Umrandung („Kartusche“) der altägyptischen Königshieroglyphen erinnern sollten. Ich übernahm den Begriff, der auch in der Waffentechnik verwendet wird, für meine Bilder: Kunst wird wie ein Geschoss mit Hilfe einer Kartusche (Pulverladung) oder aus einer Kartusche (im Sinne von Granathülse, cartridge, cartouche) nach der Explosion herausgeschleudert. Später verwendete ich für meine „Kartuschen“ auch zwei 6,5 cm dicke Profilleisten, die mit Hilfe eines Vierkantholzes einen auf 13 cm erhöhten, schwarz oder rot lackierten Holzrahmen bilden (Ausnahme: orange bei dem Bild von J.- Chr. Ammann als „Agent Orange“), welcher die Konzentration auf den Bildinhalt verstärken soll.

Künstlerisch beeinflusst wurde ich vor allem durch Beuys, Bukowski, Camus, Dix, Duchamp, v. Gogh, Jawlensky, Kafka, Kandinsky, Metken, Modersohn-Becker, Pollock, Rothko , Schopenhauer, R. Walser, bronze- und jungsteinzeitliche Kykladen-Kunst, Höhlenmalereien und Artefakte der Steinzeit. In der Ausübung von Kunst lehne ich Aggression, Dada, Dekor, Esoterik, Gag, Garbage, Klamauk, Masche, Mimesis, Ornament, Porno, Provokation, Schamanismus, Sensation, Skandal, Spektakel und Stillleben ab, alles Mittel, die gerne bei der Entstehung, Beurteilung, Ausstellung, An- und Verkauf von Kunstwerken eingesetzt wurden und werden. Mir sind demgegenüber Authentizität, Autobiografie und Sozialkritik die entscheidenden Faktoren der Kunstausübung.

Spontane (im Sinne der ursprünglichen Forderung des Surrealisten Bréton), ästhetisch geordnete oder willkürliche Akkumulationen von Gegenständen aller Art, wie sie auf Materialbildern (s. Beuys, Schwitters, Tatlin), in Galerien und Museen auf dem Parkett oder an den Wänden, auf Plätzen und in Parks vorgeführt werden, finden bei mir kein Verständnis. Falls ungeordnet, gleichen sie mir der Müllverteilung nach Erdbeben, Wirbelstürmen, Springfluten oder Bombenangriffen, falls bewusst sortiert und ausgewählt, den überaus bewundernswerten, allerdings durch Instinkt geordneten Arrangements bunter Fundgegenstände auf Balzplätzen (Tennen) durch Laubenvögel aus Neuguinea und Australien, vor allem des Blauschwarzen Seiden-Laubenvogels Ptilonorhynchus violaceus, die teilweise sogar ihre Lauben mit schwarzen oder blauen Farben beschmieren, z.B. Holzkohle und Speichel, Beerensäfte. (E. Th GILLIARD: Birds of Paradise and Bower Birds.- 485 S.;(Weidenfeld & Nicholson) London 1969; V. MORELL und T. LAMAN: Nur für dich, mein Schatz. Laubenvögel.- National Geographic, 7, S. 82-95; Hamburg 2010). Ähnlich gelagert sind die stark beeindruckenden, farbigen, mit Tempera gemalten, abstrakten Papierbilder des Schimpansen CONGO (*1954) des Londoner Zoos, der zwischen 1956-58 etwa 400 Zeichnungen und Bilder angefertigt haben soll (s. GOOGLE, „Chimpanzee congo painting.jpg“; DESMOND MORRIS: Biologie der Kunst.-195 S.; (Rauch) Düsseldorf 1964, und „Das Tier Mensch“.- 223 S.; (vgs) Köln 1994). Die beiden Fälle zeigen, wie notwendig es ist, instinktgesteuerte von bewussten humanen Handlungen (Erlebnisse, Bewertungen, Stellungnahmen, Betroffenheiten) zu trennen, es sei denn, es stört die Kunstszene oder den Kunstmarkt nicht, wenn sich bestimmte Werke scheinbar als nichts anderes oder offenbar wohl kaum mehr als farbverschmierte Astlauben, geschmückte Balztennen oder ähnlich den von Affen oder Elefanten instinktiv gepinselten Abstraktionen zu erkennen geben.

Entscheidend bei der Entstehung meiner diskutierten oder zu diskutierenden Materialbilder war auch der Umstand, dass sie, von 1963 an bis zu meiner Trennung von der Familie 1986, in einem Speicherraum (ca. 3 x 3 m, mit schrägem Ziegeldach, kaum Schutz vor Hitze und Kälte) gemacht wurden.

Werkstatt Kleiststrasse
Großformatige Bilder, wie sie von Kiefer, Newman, G. Richter u. a. bekannt sind, konnten somit erst gar nicht hergestellt werden. Dadurch entstand die Idee, ein übergeordnetes Thema in mehrere kleinformatige Bilder zu zerlegen, als 3er-, 5er- oder 7er- Serien nebeneinander zu hängen oder als Altarbild aufzustellen. Damit wurde ich zwangsläufig auf das mittelalterliche Tafel- und/oder Altarbild zurückgeführt, bei dessen Entstehung weniger oben genannte Kriterien der Kunstausübung als vielmehr mittelalterliche Vorstellungen von minne, mâze und staete zum Tragen kamen. Ab Juli 1986 wurde in der neuen Wohnung ein 13 m² großes Zimmer als Werkstatt genutzt, in dem auch größere Bilder gemacht, in den anderen Zimmern Bilder aufgehängt oder abgestellt werden konnten.  
              

Werkstatt Johannisberger Strasse
Auf diese Art und Weise wurde verwirklicht, was mir von 1950 an wie ein Leitspruch galt und seit Jahren als Zeitungsausschnitt (FRANKFURTER RUNDSCHAU, Oktober 1998) in meiner  Wohnung hängt: “Jeder sollte sein eigenes Museum haben“, eine Forderung, die allerdings nur wenige durchführen können oder überhaupt wollen.