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Erläuterungen zur Bildgruppe „Bitternell“
Der Bildentwurf ist immer unterschiedlich,
entweder 1) spontan, 2) kurzfristig überlegt oder 3) langzeitlich vorbereitet.
Die Gruppe „Bitternell“ gehört zur 1. Kategorie. Zunächst muss eine 3eckige
gelbbraune Tertiärquarzit-Platte (in „Der Ruhm meines Vaters) genannt werden, die
ich am 23.10.1994 während des Besuchs eines altsteinzeitlichen Fundplatzes auf
einem Kartoffelacker nahe der ehemaligen Quarzit- und Sandgrube „Herbelsgarten“
südwestlich von Wahlen (Oberhessen), einem nur 1,5 km entfernten Nachbardorf
von Gleimenhain, meiner Heimat bis 1938, fand.
„Das Schloss meiner Mutter“ zeigt eine 3eckige
rotbraune Platte aus Rotliegend-Gestein von der Südwestspitze der Insel
Kisselwörth bei Nackenheim (südlich von Mainz), ein am Rhein gelegenes Dorf, in
dem ich meine Jugend verbrachte. An der genannten Stelle, an der ich während
früherer besonders kalter Winter Schlittschuh gelaufen bin, tritt bei langen
Trockenzeiten eine nur bei Niedrigwasser zugängliche, etwa ein Fußballfeld große,
tertiäre Basaltintrusion zu Tage, die ich am 2.11.1997 entdeckte, und in deren
Umfeld 3-, 4- und mehreckige Ton-, Schluff- und Sandstein-Platten des
Rotliegenden (Unterperm) vorkommen, teilweise noch mit ausgeprägten Wellenrippeln
der damaligen Zeit (ca. 250 Mio. Jahre) versehen . Bei der Suche nach einer
besonders schönen Platte kam mir die Idee, nach einer 3eckigen Ausschau zu
halten, um mit ihr und der oben genannten Quarzitplatte eine Bildgruppe zu
beginnen.
Ich erinnerte mich auch an einen 3eckigen,
rotbraunen bis blutroten Block aus vererztem und verkieseltem, alttertiärem
Sand der Gewann „Bitternell“, einer geologisch besonders kritischen Stelle
meines Diplom- und Dissertationsgebiets in den Jahren 1956-1964, westnordwestlich
von Neuleiningen (Nordpfalz) gelegen. Ich hatte den Block damals im Gebüsch
einer der Gruben versteckt, in denen früher Sand, Kies, Brennofen- und
Mühlstein-Quarzite abgebaut worden waren, und ihn am 22.06.1997 nach Wiesbaden
in meinen Garten gebracht. Es lagen also drei Grundelemente für eine
3er-Bildgruppe vor, in der ich Lebensabschnitte darstellen konnte.
Bei der Gestaltung aller 3 Bilder benutzte ich
jeweils als Gegenpol zur unteren Spitze der 3eckigen Steine Gegenstände aus
meinem Besitz, die mir besonders wertvoll waren. In „Das Schloss meiner Mutter“
ist es ein Vorhängeschloss, das meiner Mutter in Oberhessen und Rheinhessen als Keller- oder
Gartentür-Schloss diente, während der Kriegs- und Nachkriegszeit auch als
Verschluss von Hasen-, Gänse-, Enten- und Hühnerställen, in Mainz wurde damit
wieder der Keller gesichert. Die Jahre in Nackenheim, dem Fundort der
Gesteinsplatte, war sozusagen die Zeit meiner Mutter, da mein Vater und mein
älterer Bruder an der Front oder in Lazaretten waren, und sie der Familie
vorstand.
In „Der Ruhm meines Vaters“ verwendete ich seine
Stimmgabel, die er für sein Gitarren- und Klavierspiel einsetzte, auch spielte
er die Orgel in der Gleimenhainer und Wahlener Kirche. Die Gabel lag, soweit
ich mich zurückerinnern kann (ca.1936), immer unter der Klavierhaube, und ist
im Nackenheimer Schulhaus erstaunlicherweise von den amerikanischen und
französischen Kampf- und Besatzungstruppen (1945 - 46) nicht entwendet worden
war. In Dexheim (1947 - 1958) benutzte er sie beim Orgelspiel in der Kapelle
der US-Kaserne. Letztendlich können die Gleimenhainer Jahre als Hauptzeit
meines Vaters gewichtet werden, denn dort gründete er die Familie und bereitete
sich beruflich so weit vor, dass er 1938 nach Nackenheim als Rektor der dortigen
Volksschule versetzt wurde.
Der Gegenstand unter dem Steinblock in dem Bild
„Bitternell“ ist ein kleiner stählerner Bohrstock, den der befreundete
Schlosser Hans Völker aus Hettenleidelheim herstellte und mir zu Beginn meiner
Diplom- und Doktorarbeitsjahre (1956 - 66) schenkte. Solche Bohrstöcke,
allerdings 1 oder 1,3O m lang, die mit einem schweren Holzhammer (heute aus
Plastik) in den Boden geschlagen wurden, benutzte ich (vermutlich als erster
der Mainzer Geologie-Studenten) in den schneefreien Monaten, um die
Gesteinsuntergründe unter den Böden erkennen zu können, denn schon damals gab
es --
abgesehen von einigen Steinbrüchen, Sand- und Tongruben -- kaum noch
geeignete Aufschlüsse in diesem vorwiegend landwirtschaftlich genutzten Gelände
der Nordpfalz. Der jahrelange Einsatz des Bohrstocks war eins der Argumente,
dass ich (eher als Mikropaläontologe und Erdölgeologe ausgebildet denn als
Bodenkundler) 1962 eine Anstellung am Hessischen Landesamt für Bodenforschung
fand. Die geologischen und stratigraphischen Verhältnisse in der Gewann
„Bitternell“ waren und sind noch heute durch
Rheingraben-Hauptverwerfungen, ehemalige Sand-, Kies- und Quarzitgruben,
quartäre Hangschutte, Autobahnbauten und künstliche Schuttauffüllungen
damaliger Tagebaue besonders problematisch. „Nell“ steht wohl (M. LEXER:
„Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch.- 413 S.;(Hirzel) Leipzig 1904) für
flache Bergspitze. „Bitter“ könnte „vor Gericht laden“, „eine Bitte oder Ladung
vorbringen“, „für einen bitten“ bedeuten. Mir wurde von Einheimischen erzählt,
dort habe früher der Galgen gestanden.
Mit Hilfe der
3 typischen Gesteine, denen überdies noch das 3eckig-herzförmige
Aussehen eigen ist, und den 3 Erinnerungsstücken, die über Kriegs- und
Nachkriegsereignisse und mehrere Wohnungswechsel gerettet wurden, konnte auf
diese Weise Kinder-, Jugend und Studentenzeit dargestellt werden. Die Titel
„Der Ruhm meines Vaters“ und „Das Schloss meiner Mutter“ habe ich den mir
besonders geschätzten Büchern und Filmen von Marcel Pagnol entlehnt. “Bitternell“
wurde als Titel gewählt, weil man an
dieser Stelle einen guten Überblick über das Gelände meiner Diplom- und
Doktorarbeit hat, und an der ich oft (und nicht selten ziemlich verzweifelt und
verbittert) über diese Arbeiten oder den beruflichen und familiären Werdegang
nachgedacht habe.
Ich bin der Meinung, Bilder sollten dem
Betrachter erläutert werden, es sein denn, man gibt sich mit reiner Betrachtung
zufrieden oder schafft sich eigene Interpretationen. Die Aktion von Beuys „wie
man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ (am 26.11.1965 in der Düsseldorfer Galerie Schmela) könnte m. E.
als eine an Künstler gerichtete Aufforderung gesehen werden, anderen Leuten,
deren Kunstverständnis geringer entwickelt oder mehr oder weniger „tot“ ist,
die Werke zu erklären. Nachdem die italienischen, französischen und deutschen
Kunstzentren von nordamerikanischen (durch nationale Interessen forciert und
mit Hilfe von Pollock, Warhol, Newman u.a. vorrübergehend erreicht) abgelöst
worden waren, und letztere erfreulicherweise einer Globalisierung weichen
mussten, sollte jetzt wieder (und noch stärker als früher) die Frage gestellt
werden, wie man Millionen von interessierten Chinesen, Japanern, Indern,
Afrikanern, Indianern und Arabern Kunstwerke Europas, Russlands und der USA mit
vor allem christlich-religiösen, griechisch-mythologischen oder anderen,
zwischen Moskau, Berlin und San Francisco gebräuchlichen Bedeutungen
verständlich machen kann, wenn sie nicht erklärt werden. Ich denke
beispielsweise an „Die Versuchung des heiligen Antonius“ (sog. Grünewald),
„Jacobs Kampf mit dem Engel“ (Gauguin), „Landschaft mit Ikarussturz“ (P.
Bruegel), „Schwarzes Quadrat“ (Malewitsch) oder „Blitzschlag mit Lichtschein
auf Hirsch“ (Beuys).
In umgekehrter Richtung kann die Frage gestellt
werden, wie versteht ein europäischer,
russischer oder amerikanischer Museumsbesucher die überaus bewundernswerten,
seit dem Neolithikum aus „Jade“ (Jadeit oder Nephrit) hergestellten
chinesischen pi-Scheiben, ohne chinesische Kunst studiert zu haben? Wie soll
er wissen, dass sie offenbar dem
Sonnenkult dienten, Sinnbild des männlichen Prinzips und Symbol des kreisrunden
Himmels waren, an dessen höchstem Punkt sich eine Öffnung befand, durch die
hindurch die Blitze zuckten? Noch schwieriger sind die ebenfalls meist aus Jade
bestehenden chinesischen t'sung-Objekte zu verstehen,, die teils quadratisch,
teils ring- und röhrenförmig gestaltet sind, das weibliche Macht-Prinzip
verkörpern und als Symbol der Gottheit Erde verstanden werden (WANG CHEN-CHIU:
Chinesische Jade.- 319 S.; (Dausien) Hanau 1992; R. BLOCH: Jade.- 173 S.; (Heyne)
München 1979).
Das Gleiche gilt für die Afrikanische Kunst, am
augenfälligsten für die Holz-Skulpturen. S. EISENHOFER zitiert Frank Willett
(1971) mit „Wir dürfen nicht glauben, wir könnten die Intensionen eines
afrikanischen Bildhauers verstehen, wenn wir einfach nur sein Werk betrachten“
im Zusammenhang mit Erläuterungen zur „Figur des Kultheros Chibinda llunga“ der
Chokwe in Angola. Ohne umfangreiches Hintergrundwissen bleiben die mit Nägeln
und Blechecken gespickten „Kraftfiguren“ nkondi
und minkisi der Yombe- und
Kongo-Region völlig unverständlich (ST. EISENHOFER: Afrikanische Kunst – ein grandioser
Beitrag zur Weltkultur.- 96 S. (S. 62-65, S. 80-81); (Taschen) Köln 2010; L.
MEYER: Schwarzafrika – Masken, Skulpturen, Schmuckstücke.- 224 S.; (Terrail)
Paris 1991; s. auch Erläuterung zu Materialbild „Santiago: Dein verbrannter
Mund“).
In selbstzufriedener Nabelschau wurden 2
Jahrtausende lang in den Kunstzentren
zwischen Byzanz und New York Kunstwerke anderer Völker übersehen,
missachtet oder geringgeschätzt, erst mit der Globalisierung begann eine kraftvollere Öffnung zu anderen
Kulturen. Heute reicht es nicht mehr aus, über die klassischen „-Ismen“ (vom
Hellenismus bis zum Expressionismus) oder über Christentum, Dada, Fluxus oder
„Malerei über Malerei“ informiert zu sein, um Kunstwerke zu verstehen, zumal
mehr und mehr Künstler auf den Markt drängen, die aus außereuropäischen oder
nicht-nordamerikanischen Ländern stammen, und deren Motive, Rituale, Metaphern,
Allegorien, Symbole, Mythen und Religionen ohne Kenntnisse des Betrachters oder
ohne Erläuterungen anderer nicht
verständlich sind.
In ähnlicher Weise bleiben meine Bilder
unverständlich, da in den meisten Fällen nur mir bekannte Inhalte vorgestellt
werden, mit der Folge, dass ich gezwungen bin, die Bilder selbst zu erläutern,
zumal ich wenig geneigt bin, meine Bilder von Kuratoren, Museumsführern oder
anderen Experten im Stil der Zeit („gleichsam“, „gleichwohl“, „evozieren“,
„hinterfragen“, „Spannung“, „Kontext“) erklären zu lassen. Erschwerend kommt
hinzu, dass sie im Regelfalle Leben, Auffassungen und Beweggründe desjenigen,
der die Bilder gemacht hat, überhaupt nicht kennen, auf Vermutungen, Gerüchte
oder Legenden angewiesen sind.
Um zu zeigen, auf welch hohem Niveau das
Kunstverständnis der heutigen Zeit ruht, sollen zum Schluss 2 Zitate aus dem
„Kunstlexikon des 20. Jahrhunderts“ (K. THOMAS (Hrsg.):440 S. (S. 6 Le Witt, S.
416 Viola); (DuMont) Köln 2006, 1 Zitat aus dem Band „Annäherung.- Die
Notwendigkeit von Kunst“ von J.-CHR. AMMANN.- 319 S. (S. 10); ((Lindinger + Schmid)
Regensburg 1996), 1 Zitat aus dem Buch von D. ELGER „Gerhard Richter, Maler“.-
468 S. (S. 389);(DuMont) Köln 2002, und 1 Zitat von E.H. GOMBRICH in H. KRAFT:
Dyaden zu dritt: Der (analytisch-)kunstpsychologische Ansatz.- S. 280-304 (S.
282). In: H.BELTING et al. (Hrsg.): Kunstgeschichte. Eine Einführung.- 375 S.; (Reimer)
Berlin 1988) vorgeführt werden:
„Ein Kunstwerk lässt sich als Verbindung zwischen
dem Geist des Künstlers und dem des Betrachters verstehen“ (SOL LE WITT,*1928).
„Malerei ist die Schaffung einer Analogie zum
Unanschaulichen und Unverständlichen, das auf diese Weise Gestalt annehmen und
verfügbar werden soll. Deshalb sind gute Bilder auch unverständlich. Unverständlichkeit
zu schaffen schließt gänzlich aus, irgendeinen Quatsch zu machen, denn
irgendein Quatsch ist immer verständlich“ (G. RICHTER 1981; * 1932).
„Es ist entscheidend wichtig, dass die
Forschungen der Künstler allgemein zugänglich sind: Künstler erforschen
ihr Selbst, das unser aller Selbst ist (J.-CHR. AMMANN, *1936).
„Der
wahre Ort, an dem das Werk existiert, ist nicht der Bildschirm oder der von den
Wänden umschlossene Raum, sondern Kopf und Herz des Menschen, der es gesehen
hat. Dort leben alle Bilder“ (BILL VIOLA, *1951).
„Das
große Kunstwerk ist durch einen starken Impuls gekennzeichnet, dem noch ein
höheres Maß an Disziplin gegenübersteht und ihn beherrscht“ (E.H.GOMBRICH, *
1909).
Nähert man sich der Kunst stärker von der
praktischen als von der ideellen Seite, so ist es allerdings unerheblich, ob
Kunstwerke mehr oder weniger ausführlich oder überhaupt nicht erläutert werden.
Denn diese werden -- was kein Vorwurf sein soll --
gerne wie Aktien gehandelt, und Konsortien von Galeristen, Kuratoren,
Museumsgründern und -leitern, Sammlern, Spekulanten, Bankern, Industriellen,
Auktionatoren, Verlegern, Redakteuren, Dezernenten und Kritikern beobachten und
steuern den Kunstmarkt, beuten ihn für ihre vielfältigen Zwecke aus, nachdem
Kirche, Adel und Kaufleute als Geld- und Auftraggeber abgelöst worden sind. Bei
Bewertungs- und Auswahlprozessen kommt es letzten Endes darauf an, ob
Kunstwerke Erträge und/oder Prestige einbringen. Den Wissenschaftlern von
Universitäten, Fachhochschulen und Museen fällt dann die anregende, dankbare
und angenehme Aufgabe zu, „die Knochen abzunagen“, d.h., die Auswahl zu
bestätigen, zu bekräftigen und darüber zu publizieren.
Ein Beweis dafür ist meines Erachtens die
Feststellung, dass über Jahrhunderte keine übergreifend akzeptierte Definition
von Kunst vorlag, weil es offenbar gar nicht wichtig genug war, den Begriff zu
klären, und die Interessen wohl eher der Ware Kunst
galten. Keine (wie sonst in Wissenschaften üblich) kurze und präzise, aber eine
auf den ersten Blick brauchbar scheinende Definition lieferte M. WARNKE in
seiner Untersuchung „Gegenstandsbereiche
der Kunstgeschichte“ S. 19-44 (S.19) in: H. BELTING et al. (Hrsg.):
„Kunstgeschichte. Eine Einführung.- 375 S.; (Reimer) Berlin 1988; Erstauflage
1986):
>„Kunst“ ist aber ein abstrakter Begriff.
Ihre konkrete Erscheinungsform ist das Kunstwerk, ein Artefakt, das sich von
anderen menschlichen Artefakten dadurch unterscheidet, dass ihm die besondere
Eigenschaft, Kunst zu sein, zugesprochen wird. Hierzu genügt es nicht, dass der
Hersteller eines solchen Artefaktes sich „Künstler“ und sein Produkt „Kunst“
nennt. Es bedarf der Beistimmung einer Reihe befugter Individuen, Gruppen,
Interessenten, Institutionen, die oft erst nach kontroverser Auseinandersetzung
darin übereinkommen, dem angebotenen Artefakt das Prädikat „Kunst“ zu
verleihen. Mit dieser Qualifikation tritt jenes Artefakt in einen Sonderstatus
ein, es genießt einen gesetzlichen Schutz, steuerrechtliche Privilegien, es
wird ausgestellt und angeboten, erreicht besondere Preise, wird sammel- und
museumswürdig und schließlich auch wissenschaftsfähig -- ein
Gegenstand der Kunstgeschichte.“<
Zunächst zufriedengestellt, muss zum einen
jemand, der sich mit Kunst beschäftigt, feststellen, dass WARNKE „befugte
Individuen“ und nicht „Fachleute“ schreibt, und dass diese Definition,
zumindest, was „große Kunst“ angeht, wenig brauchbar ist, weil sich Ansichten
mit der Zeit ändern (s. die Beurteilungen über Böcklin, Breker, Cézanne, Duchamp,
>Entartete Kunst<, Höhlenmalereien, Kykladen-Idole, Lenbach,
Modersohn-Becker, v. Gogh, v. Marées, u.v.a.). E.H. GOMBRICH (s. u.) schreibt
dazu auf S. 602 seiner „Geschichte der Kunst“: „…dass das Wort >Kunst< zu
verschiedenen Zeiten Verschiedenenes bedeutet“. „Sicherlich ist Malerei eine
Kette von Meisterwerken. Aber sie besteht auch aus vielen falschen Wegen. Der
Begriff Meisterwerk hängt immer vom jeweiligen Jahrhundert ab. Selbst ein
sogenanntes Meisterwerk kann im Laufe der Zeit zum Fehler werden“ sagt LÜPERTZ
in „Markus Lüpertz im Gespräch mit Heinz Peter Schwerfel.- Kunst heute, 4, 85 S. (S. 60); (Kiepenheuer & Witsch) Köln 1989.
Bereits
1981 hat A. C. DANTO (Transfiguration of the Commonplace. A Philosophy of Art.- Harvard University Press, Cambridge, Mass.,
1981; siehe DANTO 1991, S.4) etwas distanziert auf das vorliegende Problem
hingewiesen: „In der von George Dickie in seiner einflußreichen
Institutionsgeschichte der Kunst [vergl. George Dickie, Art and the Aesthetic:
An Institutional Analysis, Ithaca, N.Y. 1976] formulierte Kunstdefinition wurde
eine ästhetische Bedingung als notwendig erachtet. Ein Kunstwerk ist ein
>>Kandidat der Wertschätzung<< [a candidate for appreciation]; ein
Status, der einem Kunstwerk von der >>Kunstwelt<<, in Dickies Sprachgebrauch,
übertragen wird – von einer institutionell ermächtigten Gruppe von Personen
also, die sozusagen als Sachverwalter für das verallgemeinerte musée imaginaire
dienen, dessen Bewohner die Kunstwerke der Welt sind.>>Wenn etwas nicht
wertgeschätzt (appreciated) werden kann<<, schreibt Dickie, >>kann
es kein Kunstwerk sein.<< (A. C. DANTO: Die Verklärung des Gewöhnlichen.-
Eine Philosophie der Kunst.- stw 957, 321 S. (S. 144); (Suhrkamp) Frankfurt am
Main 1991). Während man bemüht ist, nach den nebulösen Zitaten über „Reihe
befugter Individuen“, „Institutionen“ und „institutionell ermächtigte Gruppe“ nicht
an eine „Reichskammer der Bildenden Künste“ zu denken, tritt schließlich M.
DUCHAMP hilfreich zur Seite: “…Das Wort Urteil hat an sich gar keinen Sinn, da
die Urteile alle hundert Jahre von anderen Generationen aufgehoben werden, was uns
zu der Einsicht bringen sollte, dass die Idee vom Wahren oder Unwahren eine
völlige Idiotie ist…“ (H. MOLDERINGS: Marcel Duchamp.- 125 S. (S.97-98);
(Qumran) Frankfurt am Main und Paris 1983, mit Anmerkung 187 (S.121): „Zit. bei
Alain Jouffroy, Une révolution du regard, Paris 1964, S.122)“.
Und schließlich heißt es bei 3 weltbekannten
Kunstexperten: „Und so zeichnet sich ein großes Kunstwerk ja gerade dadurch
aus, dass es, ob es einen Spargelbund darstellt oder eine ausgeklügelte
Allegorie, auf einer bestimmten Ebene sowohl von dem naiven Betrachter als auch
von dem analysierenden Forscher verstanden werden kann“ (KLIBANSKY, R.,
PANOWSKY, E., & SAXL, F.: Studien zur Geschichte der Naturphilosophie und
Medizin, der Religion und der Kunst.- S. 454; Frankfurt am Main (1964) 1990;
Zitat aus M. BÜCHSEL: Albrecht Dürers Stich Melencolia,
I.- 241 S. (S. 52); (Fink) München 2010.
Der dänische Maler KIRKEBY (übrigens auch
promovierter Geologe) ist allerdings wieder völlig anderer Meinung: „Ich bin
Maler und habe ein Bild gemalt. Und mehr möchte ich dazu wirklich nicht sagen.
Ein Bild erschließt sich nicht aufgrund seines Titels oder aufgrund von
Erklärungen, sondern man hat sich damit abzufinden, dass es angeschaut werden
muss“ P. KIRKEBY 1991 in P. KIRKEBY „On
shadows“ in P. KIRKEBY „Natural History and Evolution“ (S. 51), übersetzt von
Peter Shield, Haags Gemeentemuseum, Den Haag 1991; Zitat aus A. BORCHARDT-HUME:
Per Kirkeby - Einleitung.- S. 13-19 (S. 13); in B. WISMER, K. HEYMER (Hrsg.):
Per Kirkeby >> Die Welt ist Material<<.- 213 S.; (Hatja Cantz)
Ostfildern 2009).
Nachdem man zu guter Letzt noch die 1080 Zitate über Kunst (A. MÄCKLER: Was ist Kunst? 1080
Zitate geben 1080 Antworten.- Tb 197, 231 S.; (DuMont) Köln 1987) durchgeackert
hat, wird schließlich die ganze Diskussion von E. H. GOMBRICH, einem der angesehensten
Kunsthistoriker, mit dem ersten Satz der Einleitung des 1996 in 16. (!!) Auflage erschienenen, 688
Seiten starken Buches „Die Geschichte der Kunst“ (S. Fischer, Frankfurt am
Main) zunichte gemacht:„Genaugenommen
gibt es >die Kunst< gar nicht. Es gibt nur Künstler.“
Für diesen Satz könnten nun alle bis zum
heutigen Tag dankbar sein. „Mir scheint, es ist die klügste Kunstgeschichte, die wir besitzen“,
urteilte der Kunsthistoriker WILLIBALD. SAUERLÄNDER 1997 in einem
Bücherwerbeprospekt. Mir scheint jedoch, dass es jetzt dringend notwendig wird,
LESSING von 1751 zu zitieren (K. WÖLFEL (Hrsg.): Lessings Werke. Die Sinngedichte
an den Leser, Bd. 1, S.19; (Insel) Frankfurt am Main 1982):
Wer wird nicht einen Klopstock
loben?
Doch wird ihn jeder lesen? Nein.
Wir wollen weniger
erhoben
Und fleißiger gelesen
sein..
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