30x54 cm 15.3.2000 Innerhalb der roten „Kartusche“ ist auf
schwarzem Untergrund ein rechteckiger, zweigeteilter, rostiger Eisenrahmen
angebracht, der -- bleibt die untere Standfläche unbeachtet -- ein großes H
darstellt, Anfangsbuchstabe von Hans, dem Vornamen meines Vaters. Es handelt
sich um eine gusseiserne Öffnung am unteren Ende von Kaminen, aus der nach dem
Fegen anfallender Ruß entfernt wird. Das Eisenstück fand ich auf einer
Schutthalde in einem ehemaligen flachen Basaltsteinbruch am Waldrand zur
Gemarkung „Hut" westlich von Gleimenhain, meinem Heimatdorf, in dem mein
Vater von 1927-38 einziger Lehrer der einklassigen Volksschule war. Der mit einem Zweig grüner Blätter bemalte
Holzkasten stammt vom Schreibtisch meines Großvaters Johannes Plass, einem
evangelischen Pfarrer in Heppenheim an der Bergstraße, der um die vorletzte
Jahrhundertwende aus gesundheitlichen Gründen mit seiner Familie in Burgstall
bei Bad Dreikirchen (Südtirol) lebte, östlich des Rittner Horns und
nordwestlich von Waidbruck im Eisacktal gelegen. Oberhalb des Zweigs ist in
Schwarz der Schriftzug „Gardone Riviera“ aufgemalt, ein Hinweis auf den am
Gardasee liegenden Geburtsort, in dem mein Vater in der „Villa Curiosa“ zur
Welt kam. Den Schreibkasten benutzte mein Vater bis zu seinem Tode in Mainz
1992. Ein Glücksfall ist, dass (wie bereits erwähnt) die amerikanischen und
französischen Truppen während der Besetzung des Nackenheimer Schulhauses
1945/46 den Kasten nicht entwendeten, vermutlich weil das Wohnzimmer mit
Schreibtisch Zentrale der Kommandanten war, mit denen sich meine Mutter
gelegentlich in Englisch bzw. Französisch unterhalten konnte, wenn es darum
ging, Kleider und Bettwäsche aus unserer Wohnung zu holen. Die 3 Dachsschädel sind Lesefunde in einem von Äckern
und Viehweiden umgebenen Wäldchen (Waldabteilung 28), in südwestlicher Richtung
2 km von Freienhagen entfernt, einem Dorf nördlich des Edersees, in dem ich 1962-64
im Zusammenhang mit der Bodenkundlichen Landesaufnahme eines 126 km² großen
Gebiets wohnte (W. PLASS: Erläuterungen zur Bodenkarte von Hessen 1:25.000, Bl.
4720 Waldeck; 144 S., 1 farb. Bodenkte. 1:25.000; (Hess. L.-Amt Bodenforsch.)
Wiesbaden 1968). Unter Altbuchen steht an dem steilen Hang teils zu Sand
verwitterter Mittlerer Buntsandstein an, jahrelang bevorzugter Siedlungsplatz
von Dachsen. Während der Geländearbeiten fand ich die Schädel von mehreren, die
offensichtlich mit Zaunpfählen einer angrenzenden Viehkoppel erschlagen worden
waren. Den besterhaltenen Schädel (einschließlich Unterkiefer) mit Hieb-und
Nagelspuren liegt seitdem auf einem Bücherregal meines Wohnzimmers. Die Dachsschädel erinnern mich an meine
naturwissenschaftliche Ausbildung, die ich in Kindheit und Jugend durch meinen
Vater erhielt, sowohl bei Spaziergängen als auch während des
Volkschulunterrichts oder durch seine Bücher. Besonders gerne erinnere ich mich
an die Sammlungen meines Vaters im Speicher des Nackenheimer Schulhauses. Außer
dem Hauptspeicher im 3. Stock neben Gäste- und Kinderschlafzimmer gab es noch
einen höher gelegenen kleinen mit schrägen Dachwänden, den man nur mit Hilfe einer
im großen Speicher angelehnten Leiter erreichen konnte. Dort oben waren alle
Sachen gelagert, die mein Vater sammelte oder für den Unterricht verwendete:
Proben der wichtigsten Gesteine (von Steinmetzen im Odenwald erhalten),
Muscheln, Schnecken, Tang, Feuersteine mit Löchern und Fossilien, Basalte,
Quarzite, Halbedelsteine, Fernrohr mit Zubehör, Fotoglasplatten und
Entwicklungsschalen, Bienenwachs und Imkerei-Geräte mit Honigschleuder, Anzug,
Netz, Pfeife und Tabak (Mein Vater hatte in den Jahren vor 1938 in Gleimenhain
seine Fotografien selbst entwickelt und eine Bienenzucht). In 2 Bücherschränken stand in der Wohnung
genügend Literatur bereit, um sich in Kunst, Geschichte und Naturkunde
weiterzubilden. Ich besitze noch heute die vor dem 2. Weltkrieg vom
„CIGARETTENBILDERDIENST Hamburg-Bahrenfeld“ herausgebrachten Alben, großformatige
Bände mit Farbbildern von Pflanzen, Vögeln und anderen Tieren der Heimat. Bei
schlechtem Wetter stieg ich oft in den oberen Speicher und beschäftigte mich
mit den dort gehorteten „Schätzen", bei Krankheit las ich (eine Glocke
neben dem Bett, falls Hilfe nötig war) in den Zigaretten-Alben. Später zeigte
sich, wie wichtig diese Ausbildung gewesen war. Zu Beginn meines Geologie-Studiums
kannte ich bereits die meisten Gesteine und zu Beginn meiner Lehrtätigkeit die
meisten einheimischen Pflanzen, ein großer Vorteil bei bodenkundlichen,
ökologischen, geobotanischen, pflanzensoziologischen und waldbaulichen
Exkursionen und Praktika. Besonders schätzte ich den 30seitigen Band
„Ruhmesblätter Deutscher Geschichte" mit Texten und 252 farbigen, 6,2 x
5,2 cm großen Bildern, Abbildungen von Ölgemälden aus der Zeit der Schlacht im
Teutoburger Wald bis zu den Kolonialkriegen vor dem 1. Weltkrieg in
„Deutsch-Südwest“, dem heutigen Namibia. Dieser Band ist neben einem
Familienfoto-Album, der Gitarre und dem Glasplatten-Fotoapparat meines Vaters sowie
einem Birkenholz-Schmuckkästchen meiner Mutter das einzige, was beim Abzug der
amerikanischen und französischen Besatzungstruppen mitgenommen wurde. Zwei
Jahrzehnte später, am 19.12.1966, entdeckte ich im Schaufenster eines heute
nicht mehr vorhandenen Antiquariats in der Wiesbadener Mauritiusstraße den
gleichen Band „Ruhmesblätter Deutscher Geschichte", der für 3 Mark zu
haben war. |